Jüdische Woche in Beiseförth
Das Juelib-Tagebuch
26.10. Ankunft Flughafen Frankfurt
Julio Rosenblatt und seine Frau sind sicher in Deutschland gelandet. Am Flughafen übergab Initiativbündnis-Mitglied Benjamin Giesen gleich eine frisch gedruckte Ausgabe der Erzählung „Max und seine Fragen", die Herr Rosenblatt selbst schrieb und die nun in größerer Auflage existiert.
26. Oktober Rundgang durch Frankfurt
Angelika Rieber, die seit Jahrzehnten das Projekt
"Jüdisches Leben in Frankfurt" leitet, führte Julio und Ana in einem Stadtrundgang zu den Orten von Vorfahren, Verwandten und Freunden der Familie Rosenblatt, dazu gehörten u.a. das ehemalige Café Falk am Eschersheimer Turm, das Kindertransport-Mahnmal, die Stolpersteine für die Familien Wetzlar an der Großen Friedberger Straße 29 und Nussbaum
auf der Zeil 43, die Gedenkmauer am Börneplatz. Über den Eisernen Steeg ging es dann nach Sachsenhausen, wo der Rundgang in dem Restaurant "Zum
gemalten Haus" mit typischen Frankfurter Gerichten und Äbbelwoi endete. Mehr Fotos27. Oktober Endlich in Beiseförth!
Nach dem Besuch des Jüdischen Museums und einer deftigen Mahlzeit ging es auch schon los nach Beiseförth. Am Ortseingang wurde direkt ein obligatorisches Bild mit dem Ortsschild geknipst.
30. Oktober Dorfabend – "Ich bin Beiseförther"
„Heute werde ich bestimmt nicht schlafen können“ , sagte Julio nach einem aufregenden Abend im Goldenen Löwen, wo er vor dem Beiseförther Publikum authentisch über seine Familiengeschichte und sein Buch „Max und seine Fragen“ sprach. Elias, der ebenfalls Platz auf der Bühne nahm, hat dem Buch ein gutes Zeugnis ausgestellt und besonders die Botschaft dahinter hervorgehoben.
Das Thema Ausgrenzung war einer der zentralen Schwerpunkte am Samstagabend. Darum war auch der aus Afghanistan geflohene Aman Alizada eingeladen, der im örtlichen Fußballverein spielt und an diesem Abend über seine Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit in Deutschland redete. Hier waren erstaunlich viele Parallelen zu erkennen.
Als Moderator Jochen Schmidt nach Julios größtem Wunsch fragt, antwortet er deshalb: „Es ist zwar eine Utopie, aber ich wünsche mir eine Welt ohne Diskriminierung.“
Für Julio war es eine besonders emotionale Veranstaltung. Die historische Lokation im Herzen von Beiseförth und das Interesse der hiesigen Einwohner am Schicksal seiner Familie bewegten den Gast aus Uruguay. Wobei „Gast“ keineswegs zutrifft: „Ich bin stolzer Beiseförther“, sagte er und verwies auf seine typisch deutsche und im Speziellen „Beiseförther Erziehung“. Als solchen nahmen ihn auch die Besucher der Veranstaltung wahr. Das zeigten die freundschaftlichen Gespräche nach Ende des Programms.
31. Oktober Ortsrundgänge auf den Spuren Jüdischen Lebens in Beiseförth
Bei zwei Ortsrundgängen hatten Interessierte die Möglichkeit, Beiseförth ganz neu zu entdecken. Denn wie präsent jüdisches Leben im Ort war, zeigten die verschiedenen Stationen, an denen Plakate mit alten Ansichten zur besseren Visualisierung hingen. Dr. Uwe Brehm, Mitglied von Juelib, führte die zahlreichen Besucher (50 Personen beim 1. und 40 Personen beim zweiten Rundgang) mit reichlich Hintergrundwissen durch die Brücken-, Mühlen- und Bahnhofstraße. Dabei halfen ihm Emil und Elias Weißenborn, die passende Passagen aus „Max und seine Fragen“ zitierten. Aber auch Hans-Peter Klein hatte einige interessante Fakten zum jüdischen Leben parat. Den Abschluss bildete der Besuch der alten Synagoge. ZUR BILDERGALERIE / ZUM VIDEO
2. November Dokumentationsabend über die Rosenblatts aus Beiseförth und Montevideo
Wer sind die Rosenblatts? Das ist eine Frage, mit der sich Dr. Uwe Brehm intensiv auseinandergesetzt hat. Beim gut besuchten Dokumentationsabend im Beiseförther DGH führte er das Publikum durch die Geschichte der Familie, deren Name einst hinter den Harbuschs am häufigsten im Ort vertreten war. Was machten Oma Jule und Vater Fredi? Warum lebten überhaupt so viele Juden in Beiseförth und wie kamen die Rosenblatts zu ihrem Nachnamen? Auf all diese Fragen bekamen die Besucher Antworten. Hin und wieder ergänzte Julio den Vortrag, aber auch Wortmeldungen aus dem Publikum rundeten den erkenntnisreichen Abend ab. WEITERE BILDER
12. November Auf Wiedersehen! ¡Adiós!, להתראות!
Nach fast zwei Wochen geht es für Julio und Ana zurück nach Uruguay. An dieser Stelle gehören Julio und Ana die letzten Worte:"Wir sind sehr froh, dass wir diese Wochen Beiseförth erleben durften.
Wir sind Menschen, mit denen man sich angefreundet hat, wir wurden in verschiedene Häuser eingeladen, wir haben gemeinsam Filme auf Netflix angeschaut, wir haben gemeinsam gesungen und geweint. Es war eine sehr intensive Erfahrung, an der jeder teilnahm und wir gemeinsam versuchten zu verstehen, warum so viele Dinge passierten. Wir konnten in 7 Schulen Vorträge halten, in einem Lehrerseminar, wir haben Museen besucht, wir sind in die Archive einiger Gefängnisse der damaligen Zeit gegangen, um Dokumente zu sichten, wir hatten unsere jüdischen Nächte in Beiseförth, Konzerte, Debatten, Interviews, die Dramatisierung des Buches. Wir konnten dort fischen, wo meine Familie seit 1651 fischte, vor allem mein Vater, wir spielten mit Kindern, wir sprachen laut das Kaddisch vor der Synagoge, die 1938 zu Beginn des Pogroms zerstört worden war, wir waren bei der Familie, die meine Großmutter in der Nacht der Glasscherben beherbergte, wir aßen die typischen Speisen, kurzum, wir lebten wie die anderen auch. Ein Tag vor der Abreise aßen wir noch eine typische Beiseförth-Suppe mit viel Liebe von Sabine Brehm gekockt. Wo? Vor dem Haus von Oma Jule, deren Haus zerstört wurde, ein sehr intensives Finale voller Nostalgie und Hoffnung, da haben wir zusammen mit den Brehm's, den Giesen's, den Klein's und so vielen anderen zusammen gegessen, wie es vor 100 Jahren war. Es ist unmöglich, die Intensität dieses Moments zu beschreiben.
Jetzt ist es an der Zeit, in den Alltag zurückzukehren, über diese Erfahrung nachzudenken und weiterzumachen."
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Jüdisches Leben war fester Bestandteil der Ortsgeschichte
Juden waren über mehrere Jahrhunderte fest verwurzelt in Beiseförth. Bis 1938 bestand noch eine jüdische Gemeinde, deren Ursprünge in die Zeit des 16. und 18. Jahrhunderts zurückreichen und die 1861 mit 78 von 789 Einwohnern stark im Dorf vertreten war.